Wenn aus Pixeln ein Gemälde wird
"Die Leute liebten oder hassten meine Kunst"
Eigentlich ist John Stevenson Ingenieur, aber schon als Jugendlicher hat er seine Leidenschaft für Fotografie entdeckt. Vor einigen Jahren konnte er sein Hobby zum Beruf machen. Sein zweites Steckenpferd ist die digitale Kunst, der er sich seit 1999 widmet. Heute spricht er mit uns über die Entwicklung der digitalen Malerei in Photoshop und sein erstes Photoshop Plugin Trulyscene Artbox, das wir gemeinsam mit ihm entwickelt haben.
PI: Hallo John, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst ein bisschen über die Hintergründe zu Trulyscene Artbox zu erzählen. Du bewegst dich schon lange im Photoshop Universum. Mit wie viel Jahren hast du deine Leidenschaft für Fotografie entdeckt?
John: Mit 13 Jahren habe ich mir meine erste Kamera gekauft und sie seitdem nicht mehr aus der Hand gegeben. Ich erninnere mich noch gut an eines meiner ersten Fotos, mein Cousin hat es kürzlich auf Facebook gepostet. Eine schöne Erinnerung. Ich bin in Großbritanien zur Zeit der Babyboomer aufgewachsen. Die Schulen waren damals komplett überfüllt, 48 Kinder in einer Klasse waren damals die Regel. Als jüngster in der Klasse hatte ich es sehr schwer und ich hätte gerne mit 16 die Schule abgebrochen. Ein Fotograf und Bekannter meiner Familie eröffnete damals in unserer Stadt ein Fotostudio. Er wußte von meiner Leidenschaft für Fotografie und bot mir in seinem Studio einen Ausbildungsplatz an.
PI: Du bist allerdings Elektro Ingenieur geworden, wie kam es dazu?
John: Ich mochte den Mann sehr, er zeigte mir, wie man Fotos in der Dunkelkammer entwickelt und mit einem Enlarger druckt. Aber meine Eltern und Lehrer waren schockiert. Ich hatte mich gerade in der Schule verbessert und sie waren absolut gegen die Ausbildung. Also ging ich mit 18 zur Universität, statt mit 16 zu arbeiten anzufangen. Ich war nicht mutig genug, mich durchzusetzen und so blieb die Fotografie lange nur ein Hobby. Nach meinem Abschluss in Chemie erhielt ich ein Stipendium für Post Graduate Studies und habe einem weiteren Abschluss als Elektro Ingenieur gemacht. Ich lebte in London und arbeitete für eine Firma, die später zu British Telekom werden sollte. Das war Ende der 60er Anfang der 70er Jahre und die Zeit war fantastisch, einfach alles passiert in London. Ich war zum Beispiel bei dem berühmten Rolling Stones Konzert im Hyde Park dabei, es war einfach nur aufregend.
PI: Du scheinst nichts zu bereuen! Du lebst mitlerweile in den USA, wann hast du London verlassen?
John: Ich musste 1979 beruflich für ein Jahr in die USA und nach zwei bis drei Monaten wurde mir klar, dass ich nicht mehr zurück möchte, seither lebe ich den dort. Ich habe lange in Washington DC gelebt. Aber seit 2003 bin ich bei der Familie meiner Frau in Colorado sesshaft geworden. Die Landschaft und das Lichthier sind einfach unglaublich.
PI: In Washington DC hattest du auch deine erste Ausstellung, eine der ersten mit Photoshop Kunst weltweit. Wie bist du in dieses Thema gerutscht?
John: 1992 habe ich mir meinen ersten PC gekauft. Meine Tochter, die damals zu Besuch war, war völlig schockiert und konnte nicht verstehen, was ich mit so einem Ding zu Hause anfangen wollte. Über den Sommer haben wir viele Bilder gemacht und sie fragte, ob ich sie mit dem Computer bearbeiten könnte. Ich war dann eigentlich direkt von Photo Composits begeistert und wurde ziemlich gut darin. Die Ankunft von Windows 95 mit einem full graphical Screen war dann ein großer Durchbruch für mich. Denn nun konnte ich auch Photoshop nutzen, was bis dahin nur Mac Nutzern möglich war. Ich erinnere mich noch, dass ich Windows 95 und Photoshop zur Mittagszeit in Downtown Washington DC gekauft habe, es war eine ganze Menge Geld. So kam es, dass ich 1999 zum ersten Mal Prints meiner Foto Composits ausgestellt habe.
PI: Wie wurde deine Kunst aufgenommen?
John: Es war seltsam, die Leute liebten oder hassten meine Kunst. Ich hatte vorher bereits meine Bilder anderen Galerien vorgestellt und niemand wollte sie ausstellen. Sie sagten, das ist keine Fotografie und keine Kunst, das ist nur Computer Zeug.
PI: Wie hast du diese Galerie von deinen Arbeiten überzeugen können?
John: Die einen sagten, das ist keine Kunst, das ist einfach nur Computer generiert und die Leute, die es liebten, fanden es aufregend und anders und dass ich weiter machen sollte. Ich denke, die Galerie gehörte zu der Seite, die mich bestärkt hat.
PI: Wie bist du damals vorgegangen?
John: Ich habe noch lange auf Film fotografiert. Es war der einfachste Weg, wenn du deine anlogen Bilder digital bearbeiten wolltest, sie auf CD brennen zu lassen. Auf einem Familientrip hatte ich die Gelegenheit zu einem Besuch bei einem der besten Labore des Landes zu der Zeit. Dort wurde mir der gesamte Prozess erklärt und gezeigt, das war sehr interessant für mich, denn über viele Jahre habe ich so gearbeitet, um meine Bilder in Photoshop bearbeiten zu können.
PI: Warum hast du dich dann entschlossen digital zu fotografieren?
John: Als wir nach Colorado zogen, bekam ich das Angebot, in einer Galerie und einem Art Studio zu arbeiten. Das war der Moment, wo ich mich hauptberuflich der Fotografie gewidmet habe. Ich wurde dafür bezahlt, die Arbeiten der Künstler, die dort gemalt und gezeichnet haben, zu fotografieren. Ich hatte mir ein kleines Studio Setup mit Licht sowie Tripods aufgebaut. Dort habe ich ihre Kunst fotografiert. Es war viel einfacher und bequemer, mit digitalen Bildern zu arbeiten. Ich habe ihre Sachen geknipst und ihnen anschließend einfach eine Datei übergeben. So bin ich von analog zu digital geswitcht.
PI: Hat das die Arbeit der Künstler verändert?
John: Für einige Künstler habe ich dann angefangen, Drucke zu erstellen. Sie haben morgens ihre Bilder bei mir abgegeben und abends die Fineart Prints von mir erhalten. So hatten sie die Möglichkeit, über den Verkauf der Prints ihre Kunst einem breiteren Publikum näher zu bringen.
PI: Kam es dabei nicht öfters zu Diskussionen, es gab doch sicherlich Abweichungen vom Original?
John: Ich hatte einen Epson Großformatdrucker und die meisten Leute waren zufrieden mit den Ergebnissen. Sicher gab es aber auch Diskussionen darüber, dass das Grün im Print nicht dem Originalton entspricht. Aber im Gegensatz zu den Künstlern standen mir nur Schwarz, Gelb, Cyan und Magenta zur Verfügung, Abweichungen sind also leider nicht zu vermeiden. Einmal war ich wirklich frustriert, weil eine Kundin das nicht einsehen wollte und darauf beharrt hat, dass die Farben nicht übereinstimmen. Also habe ich mich entschlossen, das Bild in Photoshop zu optimieren. Als wir uns das nächste Mal trafen, hat sie das Ergebnis umgehauen. Sie sagte, hätte ich es so malen können, wie ich es jetzt sehe, dann hätte ich so gemacht.
PI: Tolles Kompliment!
John: Ja, aber das ist die Macht von Photoshop, oder? Du hast so viele Möglichkeiten und wenn es dir nicht gefällt, kannst du es einfach wieder ändern.
PI: Du hast dich viele Jahre intensiv mit Photoshop beschäftigt, wie kam es zu deinem Interesse für die Entwickler Seite?
John: Meinen ersten Kontakt zur Software Entwicklung hatte ich über eine kleine Firma in der Nähe von Cambridge. 2005 produzierte die Firma Plugins für Photoshop und wollten nun den Sprung zu einer Standalone Software machen. Ich war zum Testen der Software da und sollte das Manual schreiben. Es war ein sehr ambitioniertes Vorhaben, das ein hohes Investment erfordert hätte, sodass sich die Gründer entschließen, sich wieder auf ihre eigentlichen Karrieren zu konzentrieren. So konnte ich die ersten Erfahrungen sammeln. Von 2010 bis 2013 war ich außerdem in ein weiteres Projekt involviert, hier wollte eine ungarische Firma aus einem Standalone Programm für Photoshop ein Plugin entwickeln. Ich habe also wieder jede Menge getestet und Verbesserungsvorschläge gemacht. Aber auch hier ist der Firma leider das Geld ausgegangen und das Projekt konnte nicht umgesetzt werden.
PI: Wie ging es dann weiter?
John: Damals starte die Clinton Foundation ein Projekt, um die landwirtschaftliche Situation in Südafrika und Malawi zu verbessern. Ich wurde Teil des Teams und habe jeden Tag mit Photoshop gearbeitet und die Flächen in Malawi im südlichen Afrika kartiert. Mit Beginn der Covid Pandemie war meine Arbeit bei der Clinton Foundation ausgelaufen, wir waren im Lockdown und ich hatte viel Zeit, mich intensiv mit Photoshop zu beschäftigen. Ich habe viel mit Pinseln und Aktionen experimentiert und hatte die Idee, sie in ein Plugin zu integrieren. Also habe ich meine alten Adobe Kontakte reaktiviert und wurde zu einem UXP Workshop eingeladen. Ich war auf der Suche nach jemand, der meine Photoshop Aktionen in UXP Code umwandeln kann. Eure Präsentation dort hat mich echt beeindruckt. Es wurde dann schnell klar, dass wir mein Plugin gemeinsam entwickeln wollen.
PI: Seit es Photoshop gibt, wird mit digitaler Malerei experimentiert. Was ist das besondere an der Trulyscene Artbox?
John: Ich hatte einfach das Gefühl, dass nicht wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Ich wollte ein leicht zu bedienendes Tool, das sich nahtlos in Photoshop integriert, sodass meine komplizierten Photoshop Aktionen im Hintergrund ablaufen und du mit wenigen Klicks ein tolles Ergebnis erhältst. Mein Ziel ist es nicht, das Ergebnis wie ein Gemälde aussehen zu lassen. Ein Foto hat von sich aus unendlich viele Möglichkeiten, wenn ich heute rausgehe, meine Kamera nehme und ein Foto mache und morgen zur gleichen Zeit rausgehe, wird das Foto anders aussehen. Die Komposition wäre anders, das Licht wäre anders, es gibt also eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten auf der Input-Seite und auf der Ausgabeseite ist es dasselbe. Ich will, dass das Ergebnis impressionistisch aussieht, ich will, dass es so aussieht, dass es eine kleine Andeutung ist, dass es nicht mehr komplett fotografisch ist. Ein Foto hat diese kräftigen Farben und das scharfe Motiv usw. und mithilfe von Trulyscene Artbox ergibt sich diese künstlerische Seite. Ich kann die Farben verändern, den Hintergrund diffus machen, Teile des Motivs hervorheben usw. Es gibt also auch hier eine unendliche Anzahl von Ergebnissen. Das ist sozusagen die Philosophie des Ganzen.
PI: Wie ist dein Plugin aufgebaut?
John: Mir war es wichtig, ein Werkzeug zu entwickeln, mit dem du schnell arbeitest und selbst als Laie großartige Bilder kreierst. Du solltest nur wissen, wie du wie in Photoshop an die Plugins gelangst. Sobald du das Plugin geöffnet hast, leitet es dich in vier Schritten durch den Prozess bis zum finalen Ergebnis. Wer sich in Photoshop besser auskennt, hat anschließend noch alle Möglichkeiten, das Bild non-destruktiv weiterzuentwickeln. Du hast auf alle Ebenen Zugriff und kannst dich kreativ voll austoben.
PI: Was passiert in den 4 Schritten?
John: Als Erstes bestimmst du die Ausgabegröße und wählst einen Rahmen. Das Plugin erstellt dann eine Arbeitskopie, in der du nahtlos weiterarbeitest. Um als Nächstes einen Fokuspunkt für das Bild festzulegen, stellt das Plugin Buttons zur Verfügung, sodass du direkten Zugriff auf die Photoshop-Funktionen zur Motivauswahl hast. Falls du deine Maske genauer prüfen möchtest, kannst du im Plugin auch die Ansicht zwischen der Auswahl und Maske wechseln. Wenn dann alles passt und du mit der Auswahl zufrieden bist, musst du dich in Schritt 3 für einen Effekt entscheiden. Dafür habe ich 4 meiner eigenen Pinsel ausgewählt, die in einer subtileren und kräftigeren Variante bereitstehen. Hast du einen Pinsel bestimmt, musst du dich nur noch für einen der sechs verschiedenen Stile entscheiden. Aber keine Sorge, eine Vorschau macht die Entscheidung einfacher. Im Endeffekt liefert dir das die Trulyscene Artbox 48 verschiedene Ergebnisse aus deinem Originalbild.
PI: Neben den 48 unterschiedlichen Ausgaben erzeugt das Plugin jedes Mal individuelle Pinselstriche, das bietet wirklich unendliche Möglichkeiten.
John: Ja, und durch den Zugriff auf alle Ebenen hast du darüber hinaus eine breite Palette von Bearbeitungsmöglichkeiten, um dem Bild vielleicht noch deinen ganz eigenen Stil zu verleihen. Aber das wichtigste ist, es macht einfach Spaß.
PI: Wir haben damit auch schon viel experimentiert und ich kann dich nur bestätigen. Selbst die Leute in unserem Team, die so gut wie gar keine Ahnung von Photoshop haben, kamen spätestens nachdem sie dein Video Tutorial gesehen haben, superklar. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, wir freuen uns schon bald wieder von dir zu hören.
John: Ich danke euch und wir hören sicher schon bald wieder voneinander.
PI: Super bis bald!
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